Wie Ihr Einstieg in Ihrem neuen Arbeitsplatz in Frankreich oder Deutschland gelingt
Geografische Nachbarschaft heißt kulturelle Übereinstimmung! – Nicht wirklich… Deutschland und Frankreich sind in vielerlei Hinsicht ungleiche Cousins zweiten Grades, die sich bei jeder Familienfeier aufs Neue annähern müssen.
In der Arbeitswelt können auf kulturellen Missverständnissen beruhende Spannungen zu Unzufriedenheit führen, die sich langfristig auf die Geschäftsbeziehungen auswirkt. Wir nehmen die potenziellen Spannungszonen unter die Lupe und zeigen, wie Sie diese überwinden bzw. vermeiden können, um für eine fruchtbare multi- und interkulturelle Zusammenarbeit aus dem “Best of both worlds“ zu profitieren – egal, auf welcher Seite des Rheins Sie sich befinden oder welches Projekt Sie angehen.
1. Erkennen der kulturellen Unterschiede – Informieren und Sensibilisieren
Vor der Ausführung sofort eine Einschränkung:
Arbeitswerte: Welche und woher rühren sie?
„Typisch“ französische Arbeitswerte:
Originalität, Herausforderung, Bewunderung, Macht, Freiheit, Kreativität
„Typisch“ deutsche Arbeitswerte:
Wertschätzung/-schöpfung, Fairness, Optimierung, Qualität, Kontinuität, Sicherheit
Um diese Werte nachvollziehen zu können, kann man sich die Wurzeln der Werte-Erziehung ab dem frühen Kindesalter einmal näher anschauen:
Beispiel: Kinderbetreuung
Deutschland – Individuelle Betreuung
Nach mindestens einem Jahr Elternzeit sind gerade Mütter oftmals nur noch halbtags oder gar nicht mehr berufstätig. Kleine Kinder werden also oft einzeln betreut und verbringen weniger Zeit in einer größeren Gemeinschaft.
Frankreich – Gruppenbetreuung
Nach ca. dreimonatiger Elternzeit kehren Mütter vollzeit an Ihren Arbeitsplatz zurück, was für Kinder längere Betreuungszeiten in Gruppen mit anderen Kindern bedeutet und infolgedessen weniger individuelle Aufmerksamkeit.
Eine Erklärung für den Werteunterschied kann daher auf französischer und deutscher Seite sein: Man strebt im Erwachsenenalter nach dem, was man in der Kindheit nicht hatte. Dies wird potenziell noch verstärkt durch das Schulsystem.
Beispiel: Schulsystem
Frankreich – individuell/ elitär
Die in den frühen Kinderjahren verbrachte Zeit in der Gruppe könnte möglicherweise ein Bedürfnis auslösen, sich durch die eigene Persönlichkeit umso mehr hervorzutun.
Hinzu kommt noch, dass sich viele bereits früh über ihre catégorie socioprofessionnelle definieren – die hohen Politik- Ingenieurs- und Managementriegen des Landes geben ihre Kinder auf Privatschulen und später auf eine der Grandes Écoles, in denen Ansehen, Einfluss und Bewunderung eine große Rolle spielen.
Deutschland – gemeinschaftlich/ integrativ
In Deutschland ist das private Schul- und Hochschulsystem in der genannten Form inexistent. Bis zum 10. Lebensjahr geht jeder auf eine Schule – und hat schlechte Karten, sich durch Charisma hervorzutun. Die Deutschen sind eher rationaler Natur und bevorzugen Fakten und konkrete Messwerte, um sich eher durch hervorragende Leistung, Fachkenntnisse und Fleiß einen Namen zu machen.
(In)Direkte Kommunikation – Wie bitte?
Deutschland: Direkte Kommunikation (low context culture)
Beim Aufbau einer Geschäftsbeziehung ist man es in Deutschland gewohnt, sachliche und themenbezogene Gespräche zu führen. Persönliche Aspekte wie Smalltalk über den letzten Sommerurlaub, amüsante Anekdoten oder Ähnliches sind eine Seltenheit. Sachlich zu bleiben ist ein Zeichen für Professionalität, informelle Gespräche gelten als Zeitverschwendung. So sind in der Kommunikation seitens einer deutschen Person meist alle nötigen Informationen offen und direkt ersichtlich – was Sie bekommen ist genau das, was vorhanden ist. Es gibt keine versteckten Messages, keine Blume, die die Aussage beschönigt.
Mit einem deutschen Gegenüber sollte man sich daher äußerst präzise ausdrücken. Sie sollten z.B. die technischen Referenzen eines Produkts parat haben oder Garantien bieten, um die Zuverlässigkeit des Produkts durch Ihre eigene zu repräsentieren. Geschäftsbeziehungen etablieren sich in Deutschland vor allem am Anfang über arbeitsrelevante und informationsbezogene Themen, nicht über Smalltalk über das Privatleben, was auf deutscher Seite Unbehagen und den Eindruck einer unseriösen Arbeitsweise wecken kann.
Frankreich: Indirekte Kommunikation (high context culture)
Ein Geschäftstreffen, das rein sachbezogen abläuft, wird in Frankreich oftmals als zu direkt und geradezu unhöflich angesehen. Da es aus französischer Sicht in der Arbeitswelt um Geschäftsbeziehungen geht, wird der Fokus auch auf den Menschen gelegt, mit dem man am liebsten zusammenarbeitet, wenn man ihn sympathisch findet. So braucht es Zeit für informelle Gespräche, um die Person nicht nur auf fachlicher, sondern auch auf sozialer Ebene einschätzen können – was hinsichtlich künftiger (Un)Vorhersehbarkeiten und (Un)Sicherheiten von Vorteil sein kann.
Entgegen des französischen Rufs der durchweg in Streik befindlichen Nation, werden Konflikte in der Arbeitswelt eher gescheut; Themen mit Konfliktpotenzial werden seltener direkt angesprochen, als eher „zwischen den Zeilen“ kommuniziert und implizit vermittelt. Es braucht also oft „high context“ wie Situation, nonverbale Signale usw., um die Grundaussage zu begreifen – wenn diese nicht sogar von einer dritten Person auf mündlichem Wege übermittelt wird.
In Kombination mit der erwähnten impliziten Kommunikationsweise ist demzufolge ein in deutschen Firmen weniger beliebter, informeller und auf Zwischenmenschlichkeit fokussierter Austausch z.B. bei einem Essen beinahe unverzichtbar, um die Kommunikation des französischen Gegenübers „lesen“ zu lernen und peu à peu wertvolle Informationen zu sammeln – über Kunden, Mitbewerber und den Markt im Allgemeinen. Mit der Zeit vertiefen Sie so die Beziehung und sind womöglich besser in der Lage, etwaige Schwierigkeiten vorauszusehen.
Der Zeit-Faktor
Deutschland – monochrone Kultur
Zeit und die damit verbundene Planung und verbindliche Einhaltung von Terminen spielt in der deutschen Arbeitskultur eine zentrale Rolle. Projekte werden ebenso mit Blick auf den Zeitrahmen strukturiert wie auch der Arbeitsalltag. Die damit verbundene Strenge und Einschränkung von Flexibilität kann französischen Kunden oder Partnern unter Umständen sauer aufstoßen.
Tipp für die Projektarbeit mit deutschen Unternehmen:
Auch in der deutschen Arbeitswelt zählt der Eindruck. Wenn dieser bei aller vielgeschätzten Kreativität allerdings von Chaos
überschattet wird und dies die Geschäftsbeziehung negativ beeinflusst, sollte man versuchen, sich etwas anzupassen.
Frankreich – polychrone Kultur
In Frankreich werden der zeitliche Freiraum und die damit verbundene Flexibilität als Faktoren für Kreativität angesehen. Ein Zeitplan ist eher eine generelle Orientierung als ein in Stein gemeißeltes Gesetz. Kurz: Spontaneität entzündet Produktivität.
Dies kann für die deutsche Seite eines Projekts den Anschein erwecken, dass auf der französischen beunruhigend lange Zeit nichts passiert, wohingegen diese womöglich einfach nur länger mit Ideen jongliert, bevor sie diese präsentiert.
Tipp für die Projektarbeit mit französischen Unternehmen:
Management
Es ist nicht überraschend, dass beim Thema Management der Aspekt der Macht zur Sprache kommt. Da sich das Verhältnis dazu in beiden Ländern sehr unterscheidet, gilt Gleiches folgerichtig auch für die Managementkultur.
Deutschland: horizontal/ partizipativ
Typisch „deutsche“ Team-Managerinnen und -Manager werden für ihre Fachkompetenz geschätzt und sind eher Teamplayer, die sich in der Pflicht sehen, aktiv und als Teil des Teams Lösungen zu erarbeiten. Dementsprechend horizontal werden auch die Entscheidungen getroffen.
Frankreich: vertikal/ autoritär
In der französischen Arbeitswelt werden Managerinnen und Manager als Leader gesehen, die eher führen als begleiten. Oft herrscht das klassische Top-Down-Management. Zielvereinbarungen werden eher vom Teamleiter oder der -leiterin (vor)gesetzt, die dann vom Team umgesetzt werden sollen. Generell sieht sich der Manager oder die Managerin eher als dem Team übergeordnet denn als Teil von ihm.
2. Nutzen des Synergiepotenzials
Wie können Sie all die genannten Informationen nun nutzen?
Schauen Sie in Ihrem Team, welche Unterschiede in welchen Arbeitsweisen und in welcher Phase eines Projekts Sie als Stärken nutzen können. Abhängig von Ihren Strukturen und Vorhaben sollten Sie Ideen natürlich auf sich selbst anpassen, doch die folgenden Punkte geben Ihnen vielleicht ein paar Impulse.
Arbeitsteilung bei der Projektarbeit: Kreativität + Struktur
Strukturieren Sie ggf. Ihre Arbeitsteilung um.
Kommunikation: Beziehungsaufbau + Krisenmanagement
Im Grunde haben Sie in Sachen Kommunikation mit einem deutsch-französischen Team die ideale Kombination in der interkulturellen Arbeit. Während sich ein französischer Mitarbeiter auf die zwischenmenschliche Seite der französischen Geschäftsbeziehungen konzentriert, trägt eine deutsche Kollegin mit einer transparenten, faktenbasierten Vermittlung schwieriger Themen zur Festigung der Beziehungen zu deutschen Kunden bei.
Aber auch hier können beide Seiten voneinander lernen, beispielsweise wenn es um das französische nonverbale Feingefühl in der Kommunikation geht oder um die deutsche Offenheit bei der Problemklärung.
In manchen Fällen könnten Sie ebenfalls die Arbeitsteilung anpassen.
Vertrieb: Erstkontakt + Vertragsgestaltung
Auch im Vertrieb können Sie die Aufgaben, die eher zwischenmenschliches Feingefühl und ein freundliches Auftreten verlangen, von den praktischen, faktenbezogenen trennen und sowohl unter den Teams als auch auf Projektzeitpunkte umverteilen. Z.B. kann der Erstkontakt von französischer Seite aufgenommen werden, während das deutsche Team mit der Vertragserstellung in all ihren Details die finale Projektstation markiert.
Eine gute interkulturelle Zusammenarbeit ist ein Puzzle mit tausend Teilen – nur dass Sie selbst entscheiden können, welches Bild dabei herauskommt!
3. Lösung und Vorbeugung von Konflikten
Dialog und Empathie
In einer Umfrage unter Firmen, die in einem internationalen Kontext arbeiten, behaupten mehr als 50% der befragten Personen, dass kulturelle Unterschiede ein Grund für Spannungen sind. Es ist völlig menschlich, andere im ersten Moment nach den Kommunikations- und Verhaltenscodes zu bewerten, die einem selbst vertraut sind, und bei einer anderen als der erwarteten Reaktion verunsichert oder gar gekränkt zu sein. Denn:
1) Aus ungleicher Behandlung resultiert ein Ungerechtigkeitsempfinden.
Im interkulturellen Kontext bedeutet Empathie: „Behandle mich nicht so, wie du gerne behandelt werden würdest.“
2) Im internationalen Kontext tritt der zwischenmenschliche Aspekt des Verhältnisses zwischen Mehrheiten und Minderheiten besonders deutlich hervor, was auf die Gefühle sozialer Anerkennung und Zugehörigkeit einen unmittelbaren Einfluss hat.
Beispiel:
Ein französischer Mitarbeiter kommt neu in eine deutsche Firma. Die deutschen Kollegen halten sich und ihre Handlungsweisen angesichts der Realität ihrer Mehrheit für die „Norm“, alles außerhalb dieser Norm wirkt irritierend. Der neue Mitarbeiter kann sich leicht deplatziert fühlen und die deutschen Kollegen als arrogant und unsensibel empfinden.
Mehrheit („Hoch-Status“) | Minderheit („Tief-Status“) |
---|---|
„Wir sind normal.“ | „Ich fühle mich deplatziert, anders.“ |
„Die andere Person verhält sich seltsam und stört.“ | „Die anderen sind arrogant und unsensibel.” |
Damit in solchen Situationen niemandem der Kragen, sondern der Knoten in der Kommunikation platzt, gilt: Dialog, Dialog, Dialog!
Nun sagen Sie womöglich: Schön und gut. Wenn jedoch Deutsche den Franzosen im Dialog zu direkt sind, und Franzosen so kommunizieren, dass Deutsche ohne hauseigenen Kryptografen nicht verstehen, was diese sagen wollen: Wie viele Samthandschuhe muss man für diesen Dialog dann anziehen?
Das bekannte Konzept der Nonviolent Communication des US-Amerikanischen Psychologen Marshall Rosenberg ist eine bewährte Strategie:
Stellen Sie dar, wie Sie die Situation empfinden. Verwenden Sie „Ich + ein Gefühlswort“, um Ihre eigene Sicht der Dinge auszudrücken, ohne dem oder der Anderen etwas vorzuwerfen:
„Du hast.../Du bist.../Du machst...“ wird ersetzt mit „Ich bin gekränkt/ überrascht/ verwirrt.../ Ich verstehe nicht, warum.../ Ich habe den Eindruck...“ Das bricht das Eis und eröffnet das Gespräch.
Konfliktklärung ist Führungsaufgabe
Egal ob in Frankreich oder Deutschland: Es ist die Aufgabe der Teammanagerin bzw. des Teammanagers, für einen reibungslosen Arbeitsablauf zu sorgen. Wird dieser also durch Spannungen im Team gestört, sollten Sie ihn oder sie stets hinzuziehen, um ein Teamgespräch zu führen. Da Mediationskompetenz allerdings nicht zwingenderweise zum Management-Profilportfolio gehört oder teaminterne Konflikte leider nicht immer von den Vorgesetzten ernst genommen werden, ist hier Ihre Initiative gefragt, das Gespräch mit der betreffenden Person zur Not auch nur unter vier Augen zu führen.
Proaktives Zuhören – Doppelt hält besser
Hierfür gibt es zwei Grundsatzregeln:
1) „Erst verstehen, dann verstanden werden.“
Fragen Sie zuerst Ihr Gesprächsgegenüber nach seinem oder ihrem Standpunkt, bevor Sie Ihren darlegen. Ihre eigene Zuhör- und Sprechzeit stehen in diesem Teil des Gesprächs im Verhältnis 2:1 – Hören Sie doppelt so lange zu, wie Sie selbst sprechen!
2) „Doppeln“ Sie!:
Bevor Sie Ihre Sicht der Dinge vorbringen, fassen Sie das, was Ihr Gesprächsgegenüber Ihnen erzählt hat, mit der Einleitung „Habe ich dich richtig, verstanden, dass...?“ zunächst zusammen, um
- sich zu vergewissern, dass Sie die Person richtig verstanden haben
- der Person auf diese Weise zu signalisieren, dass Sie um sie/ihn sowie um eine Lösung des Konflikts ernsthaft bemüht sind
Ihr Gesprächspartner wird Ihnen dann entweder das Gesagte bestätigen oder Sie korrigieren und noch einmal auf die für ihn oder sie wichtigen Aspekte eingehen. Erst wenn der Gegenüber Zustimmung signalisiert, können Sie darauf reagieren bzw. Ihre Sichtweise formulieren.
Durch proaktives Zuhören entschleunigen Sie die Hast, mit der Ärger allzu oft kommuniziert wird, bleiben beim eigentlichen Gesprächsthema und entgehen damit der Konflikt-Spirale der gegenseitigen Vorwürfe, die zu nichts führt. Stattdessen steht – auch im Kontext möglicher Sprachbarrieren – das Verstehen und das Verständnis für die andere Person im Vordergrund: indem Sie sich die Zeit nehmen, Gesagtes zu ergänzen, zu vertiefen, zu präzisieren.
Am Ende sind proaktives Zuhören, Offenheit und Empathie die Schlüssel zu einem guten und langfristigen Miteinander in jeglicher Teamkonstellation.
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